Samstag, 1. April 2023

Buchempfehlungen zum Thema Griechenland

 

Griechenland, Baedeker.

Ein umfassender, informativer Reiseführer, der neben den Beschreibungen attraktiver Reiseziele und nützlichen Tourenvorschlägen auch ausführliche Hintergrundinformationen zur Geschichte und Kultur, zu Traditionen und Bräuchen und nicht zuletzt zur Küche bietet, dazu praktische Tipps  und Hinweise auf besonders erlebenswerte Orte. Attraktive Fotos dienen als Blickfang und Ausschnitte aus Karten geben Orientierung. Eine beigelegte Landkarte sorgt dafür, dass man nie den Überblick verliert. 

 

Roderick Beaton: Greece. Biography of a Modern Nation, 2020, 462 Seiten.[i]

Natürlich findet man in guten Reiseführern (z.B. Griechenland von Baedeker) auch einen Überblick über die Geschichte eines Landes. Trotzdem lohnt es sich, Greece. Biography of a Modern Nation zu lesen. Erst dadurch habe ich einen lebendigeren Bezug zu den historischen Orten, Festungen und Denkmälern bekommen, die mit der neueren Geschichte Griechenlands in Zusammenhang stehen.  Beatons Fokus liegt auf der Entstehung des unabhängigen Staats Griechenland als erstem Nationalstaat aus einem der großen Imperien, dem Osmanischen Reich. Dabei gelingt es ihm, Verständnis für die Geschehnisse zu wecken, indem er die Positionen der Akteure einander gegenüberstellt und die Machtverhältnisse aufzeigt, aus denen sich neue Entwicklungen ergeben. Trotz seines komplexen Themas zeichnet sich das Buch durch eine klare Struktur, ein hohes Maß an Kohärenz und einen ansprechenden Stil aus. Zeitweise ist es geradezu spannend. Aufgrund der Fülle des Materials ist es dennoch nicht leicht, den Überblick zu behalten, insbesondere wenn der Autor Entscheidungen und Mentalitäten verschiedener Zeiten miteinander vergleicht. Es hilft, einzelne Kapitel ein zweites Mal zu lesen.

Für mich war es eine bereichernde Lektüre nicht nur weil ich eine persönliche, große Wissenslücke füllen konnte sondern auch um die europäische Geschichte des 19. Und 20. Jahrhunderts aus einer anderen, bisher von mir vernachlässigten Perspektive kennen zu lernen. 

Besonders beeindruckt hat mich, auch weil ich es bisher einfach nicht oder nicht so genau wusste:

-        Die Rolle des osmanischen Reichs als eines der großen Imperien

-        Das Zusammenleben und die Hierarchien von verschiedenen Religionen und Ethnien, insbesondere in den Randregionen. Faszinierende multikulturelle Städte wie Salonica (Thessaloniki) und Smyrna (heute Izmir)

-        Internationalisierung eines zunächst regionalen Konflikts. Gewinnung von Unterstützung durch die Argumentation, dass das derzeitige Europa ohne die griechische Antike undenkbar sei

-        Die Rolle der Philhellenen beim Streben nach/Kampf um Unabhängigkeit

-        Der Austausch nach 1922 von muslimischer Bevölkerung in Griechenland und griechischer Bevölkerung in Westanatolien und das ganze Leid und Elend, das damit verbunden war. Wie es zum Völkermord an den Armeniern kam.

-        Die deutsche Besatzung während des Zweiten Weltkriegs

-        Wie es zur Teilung Zyperns kam und welche unrühmliche Rolle Großbritannien dabei spielte

-        Die USA statt Großbritannien als Schutzmacht Griechenlands nach dem Zweiten Weltkrieg. Im Bürgerkrieg unterstützt sie die Regierung mit Waffen. Gegen die linksgerichteten Aufständischen, die sich in die Bergregionen im Norden zurückgezogen habe, wird Napalm eingesetzt.

Dies sind natürlich nur einige Beispiele. Interessant sind auch die Exkurse zu Entwicklungen in der Literatur, der Kunst und der Musik. Es gibt viel zu entdecken.

Konflikte innerhalb der griechischen Gesellschaft, die oft in Gewalt und mehrfach in Bürgerkriege mündeten, führt der Autor auf gegensätzliche politische Positionen zurück, die das Land spalteten. Kulturhistorisch stehe es zwischen Ost und West, mit seinen byzantinischen Wurzeln, repräsentiert durch die orthodoxe Kirche einerseits, und dem Erbe des antiken Griechenlands, das sich in der Staatsform der Demokratie, den Institutionen von Bildung und Wissenschaft und in der Integration in die EU sichtbar manifestiere, andererseits. 

 

Stephen Fry: Mythos. The Greek Myths Retold, Penguin, 2018.

Stephen Fry erzählt die Schöpfungsgeschichte, wie sie sich laut griechischer Mythologie zutrug, zeitgemäß, ansprechend und einfühlsam. Indem er durch Dramatisieren und Psychologisieren Spannungsbögen schafft, sorgt er für ein unterhaltsames Leseerlebnis. Sein Buch ist die ideale Lektüre, wenn man das Gedächtnis in Bezug auf die Genealogie der griechischen Götter und die sich um sie rankenden Legenden auffrischen möchte.

 

Petros Markaris: The Committed Suicide, London, 2009 (deutscher Titel: Live!)

Was steckt hinter der öffentlichen Selbsttötung eines erfolgreichen Firmenchefs? Die die Lesenden normalerweise fesselnde Frage „Wer war es?“ stellt sich also nicht. Inspektor Kostas Haritos lässt sich durch diese Tatsache aber nicht abhalten. Obwohl er noch krankgeschrieben ist, beschäftigt er sich mit dem Fall und ermittelt schließlich im Auftrag seines Vorgesetzten inoffiziell. Dabei stößt er auf Indizien für Kriminelle Immobiliengeschäfte mit Verflechtungen zwischen Politik und Wirtschaft, deren Machenschaften sich bis in die Balkanländer erstrecken. Ein wirtschaftlicher oder politischer Skandal also?

‚The Committed Suicide‘ ist ein Band der Krimiserie um Inspektor Costas Haritos. Der Ort der Handlung ist Athen, die Handlung selbst spiegelt die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse in den frühen 2000er Jahren vor den olympischen Spielen.

Einerseits trägt es zum besonderen Flair bei, dass er die Routen zu den Orten seiner Befragungen und Ermittlungen einschließlich der jeweiligen Verkehrslage genau beschreibt. Wenn man keine so genaue Kenntnis von Athen hat, lässt der Unterhaltungswert dieser Passagen aber schnell nach.

Zusätzlich zu seinen Überlegungen und Erkenntnissen zum gegenwärtigen Fall erhalten die Lesenden auch Einblicke in das Familienleben des Ich-Erzählers, eine griechische Familie zwischen Tradition und Moderne und erleben ein bisschen Lokalkolorit auf den Gängen durch sein Viertel in Athen und mit dem Café, in dem er seine Zeitungen liest.

Nicht nur privat gehört der Inspektor zur älteren Generation. Sind die Methoden des Inspektors noch zeitgemäß? Ob er Erfolg hat, hängt von seinem Verhältnis zur jüngeren Generation ab. Während sein Verhältnis zu seiner Frau etwas Patriarchalisches hat, zeigt er sich seiner Tochter und einer jüngeren Kollegin gegenüber durchaus aufgeschlossen.

Die Krimiserie in deutscher Übersetzung in chronologischer Reihenfolge:

1.      Hellas Channel (1995)

2.      Nachtfalter (1998)

3.      Live! (2003)

4.      Der Großaktionär (2006)

5.      Die Kinderfrau (2008)

6.      Faule Kredite (2010)

7.      Zahltag (2011)

8.      Abrechnung (2012)

9.      Zurück auf Start (2014)

10.   Offshore (2016)

11.   Drei Grazien (2018)

12.   Zeiten der Heuchelei (2020)

13.   Das Lied des Geldes (2021)

14.   Verschwörung (2022)

 

 

Petros Markaris et al: The Passenger. Greece. Europa Editions, 2020.

The Passenger ist eine Sammlung von Essays über Griechenland, die sich an Besucher des Landes richtet. Nicht alle Autor*innen sind Griechen. Einige sind ausländische Journalisten oder Wissenschaftler, die das Land durch ihre Arbeit gut kennen. Ihre Perspektive ist vom heutigen, von der Finanzkrise ab 2010 gebeutelten, Griechenland geprägt. Die Essays befassen sich mit einem weiten Spektrum an Themen aus Kultur, Gesellschaft und Wirtschaft. Viele gehen von Beobachtungen und Erfahrungen der Autor*innen selbst oder der von ihnen befragten Griech*innen aus. Sie folgen also einem phänomenologischen Ansatz und bieten dadurch eine Innenansicht, die Touristen oft nicht zugänglich ist. Dies unterscheidet die Essaysammlung von einem gewöhnlichen Reiseführer. Die einzelnen Texte sind von unterschiedlicher Qualität. Ihre Wirkung hängt aber natürlich auch von den individuellen Interessen der Lesenden ab. 

Für mich besonders bereichernd waren:

‚The Apostate‘, von James Angelos über den Bürgermeister von Thessaloniki

‚Athenian Microdramas’ von Kostas Koutsourelis über einen Aspekt der griechischen Mentalität

‘Greeks Bearing Gifts’ von Alexander Clapp über die Oligarchen in der Finanzkrise

 

 

Sheila Murnaghan: Introduction, in Homer: Odyssee, Translated by Stanley Lombardo, Indianapolis, 2000.

Eine gute Lektürehilfe zu Homers Odyssee ist die Einführung von Sheila Murnaghan zu Stanley Lombardos englischer Übersetzung. Ihrer Auffassung nach ist die Heimkehr (nostos) des griechischen Helden Odysseus das eigentliche Thema der Odyssee. Sie kann ihre These durch überzeugende Belege im Text untermauern. Der inhaltliche Schwerpunkt liegt auf der Vorbereitung für die Heimkehr, der Ankunft auf Ithaka und den Geschehnissen danach.  Die Abenteuer der Rückfahrt von Troja, die Irrfahrt des Odysseus und seiner Männer, werden nur im Rückblick von Odysseus selbst erzählt als er Gast bei den Phäaken ist. 

Bei der Rückkehr muss er sich seine Stellung in der Gesellschaft und in der Familie zurückerobern. Nach 20 Jahren Abwesenheit muss er beweisen, dass er Odysseus ist und dass er der Position, die er innehatte, noch würdig ist. Die besonderen Qualitäten, durch die sich der Held auszeichnet, nämlich Klugheit (metis), Leidensfähigkeit und Selbstbeherrschung sind dabei genauso wichtig wie während seiner Irrfahrt und beim Kampf um Troja.

Die Autorin schreibt gut verständlich und in einem angenehmen Stil. Ihre Interpretation, die viele wichtige Aspekte umfasst, ist kohärent und trägt zum tieferen Verständnis des Epos und seines Protagonisten bei. 



[i] Zu diesem Zeitpunkt gibt es wohl keine deutsche Übersetzung. Ein noch neueres Buch von ihm hat in der deutschen Übersetzung von 2023 den Titel: Die Griechen. Eine Globalgeschichte. In diesem Buch liegt der Schwerpunkt jedoch auf der griechischen Sprache und ihrer globalen Rolle.

 

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