In Out of the Wreckage (Ein Ausweg aus der Krise) skizziert George
Monbiot mitreißend seine Vision für eine gesellschaftliche, wirtschaftliche und
politische Neuorientierung zur wirksameren Bekämpfung von Armut, sozialer Benachteiligung,
Umweltzerstörung und Klimaerwärmung.
Der Autor bezieht zwar seine
Daten hauptsächlich aus der britischen und der amerikanischen Gesellschaft, wo
der Sozialstaat stark zurückgebaut und die Armutsrate höher ist, sein Buch ist
aber auch für deutsche und kontinentaleuropäische Leser eine inspirierende
Lektüre, ideal für einen Urlaub, wenn man Zeit hat zur Ruhe zu kommen und nachzudenken,
denn der Autor will seine Leser aus den gewohnten Denkmustern herausreißen und für
nichts weniger als einen Paradigmenwechsel gewinnen: das neoliberale
Gesellschaftsmodell der westlichen Demokratien habe in die Sackgasse geführt,
und es gelte nun es durch ein neues, überzeugenderes Modell zu ersetzen.
Neueren wissenschaftlichen
Erkenntnissen zufolge entspreche es gar nicht primär der menschlichen Natur in
ständiger Konkurrenz mit anderen allein nach individuellem Erfolg, definiert
durch Karriere, sozialen Status und Reichtum, zu streben, so wie es die Befürworter einer
kapitalistischen Weltordnung seit den 80er Jahren glauben machen konnten. Vielmehr
spielen Teilhabe, Engagement für andere und Kooperation eine zentrale Rolle für
ein zufriedenes und erfülltes Leben.[i] Die
Beschränkung auf den persönlichen Erfolg dagegen bezahle der Mensch mit
Vereinzelung und Vereinsamung und deren
vielfachen negativen Auswirkungen.
Die ermutigende, optimistische
Botschaft ist daher: orientieren wir uns neu. Beginnen wir damit uns wieder als
verantwortungsvolle Bürger zu sehen, die nicht gegeneinander arbeiten, sondern im
gemeinsamen Interesse füreinander und miteinander. Erfolgreiche aus
verschiedenen Teilen der Welt weisen den Weg: Gemeinschaftsgärten, Mitmachwerkstätten
(z.B. für Fahrräder), Vermittlung und Austausch von Hilfsdiensten innerhalb des
Stadtviertels, Kooperativen, das Projekt ‚Stadt im Wandel‘ mit dem Ziel fossile
Brennstoffe zu vermeiden und regionale Versorgung zu fördern, Gemeindearbeit
gegen Vereinsamung und Verrohung auch unter Beteiligung der Kirchen.
Dabei ist es wichtig, dass es
nicht bei einzelnen Initiativen bleibt, sondern dass erfolgreiche Projekte zu
weiteren Projekten anregen, dass sich auch Geschäftsideen entwickeln, aus denen
wiederum Arbeitsplätze und Verdienstmöglichkeiten entstehen. 10 -15 % der
Bürger sollten sich engagieren, damit sich auf längere Sicht ein lebendiges
Stadtviertel, eine lebendige‚ ‚community‘ entwickelt.
Sind diese Strukturen und
Netzwerke erst einmal aufgebaut, ist die ‚community‘ auch widerstandsfähiger
und integrationsfähiger: Widerstandsfähiger, da sie für die Gefahren
sensibilisiert ist, denen öffentliches Eigentum ausgesetzt ist und bei Privatisierungsplänen,
Bauvorhaben oder Umweltschutzfragen die Interessen der Bürger wirksamer
vertreten kann. Integrationsfähiger, da Bürger aller Einkommensgruppen
einbezogen werden können, einschließlich neu Zugezogener darunter auch
Zuwanderer und Geflüchtete (S. 86 ff).
Monbiot warnt jedoch davor, dass
die Regierungen bürgerschaftliches Engagement als Vorwand nehmen könnten, die
Sozialsysteme (weiter) zurückzubauen. Unterstützung, auch finanzielle Unterstützung
von Seiten der Gemeinde- bzw. Stadtverwaltungen sei unerlässlich.
Wie sieht
es nun aber mit den nationalen und globalen Problemen aus, der politischen
Entmachtung des Wählers trotz Demokratie, der Übermacht der Konzerne, der
zunehmenden Zerstörung der Umwelt, dem Klimawandel?
Eine Patentlösung wird der Autor
nicht vorlegen, aber er präsentiert eine kritische Übersicht von Handlungs- und
Reformmöglichkeiten auf den verschiedenen politischen Entscheidungsebenen.
Die theoretische Grundlage für seine Ausführungen ist das
alternative Wirtschaftsmodell von Kate Raworth, die die Wirtschaft eingebettet
sieht in die größeren Zusammenhänge von Gesellschaft und Umwelt (earth) (Die
Graphiken ‚The embedded economy‘, zitiert in Monbiot S. 121 und ‚The Doughnut‘,
S. 123). Nicht mehr wirtschaftliches Wachstum soll der Indikator für eine
positive Entwicklung sein, sondern das Wohlergehen der Bevölkerung.
„[…]
statt Wirtschaftswachstum unabhängig davon ob es uns gut geht, brauchen wir
eine Wirtschaft, die bewirkt, dass es gut geht.“ Raworth (2017) zitiert in Monbiot S. 125, [Übersetzung
der Rezensentin]
Die gesellschaftliche und
wirtschaftliche Entwicklung soll sich dabei an den Zielen für nachhaltige
Entwicklung (Sustainable Development Goals, verabschiedet im Jahr 2015) der UN
orientieren, mit dem Ideal bis 2030 die Grundbedürfnisse aller Menschen zu erfüllen
ohne die Lebensgrundlagen weiter zu zerstören (‘meeting the needs of all within
the means of the planet’, Monbiot, S. 123).
Aber
wie lässt eine Umorientierung in die Praxis umsetzen?
Die Handlungsoptionen, die
Monbiot aufzeigt, basieren auf dem Grundgedanken der Rückeroberung und des
Wiedergewinns von Kontrolle über gemeinschaftliches Eigentum , das seit den
1980er Jahren privatisiert wurde. Die Liste der Beispiele ist je nach Land
unterschiedlich: meistens gehören die Stromversorgung, der öffentliche
Nahverkehr, Immobilien und Sozialwohnungen dazu, in England auch die
Wasserversorgung. [Ein aktuelles Beispiel in Deutschland ist die Autobahnmaut
für Lastwagen[ii]].
Wenn die Zahl der Arbeitsplätze wie vorhergesagt tatsächlich stark abnimmt und
damit Erwerbsarbeit als Grundlage für den Lebensunterhalt für viele nicht mehr
ausreicht, wäre die Rekommunalisierung/Renationalisierung ein Weg um dennoch eine
umfassende Versorgung zu fairen Preisen für alle sicherzustellen.[iii] In
manchen Ländern müsste die Liste durch gute öffentliche Schulen und
Kindergärten sowie Sozialdienste für die Altenpflege ergänzt werden.
Mieten und Kaufen von
Wohneigentum muss wieder bezahlbarer werden. [Die deutschen Städte Ulm und
Tübingen sind gute Beispiele dafür wie die Städte Gestaltungsspielraum
zurückgewinnen können. – Anmerkung der Rezensentin] [iv] Eine
vernünftige und gerechte Maßnahme wäre ererbtes Grundeigentum zu besteuern
sowie Grundeigentum, dessen Wert durch die vorhandene Infrastruktur und die
Lebensqualität im Stadtviertel gestiegen ist. Dadurch würde die Gemeinschaft
der Steuerzahler zu recht für die Wertsteigerung entschädigt werden, die sie
geschaffen hat und die Gefahr einer Immobilienblase könnte abgewendet werden. [v]
Wahlsysteme müssen so konzipiert
sein, dass auch jede Wählerstimme zählt (Monbiot, S. 132-137). Die Finanzierung
von Wahlkämpfen müsste gesetzlich so geregelt werden, dass Geld nicht mehr
ausschlaggebend für einen Wahlsieg ist. (Monbiot, S. 145-147)
Dazu kommt, dass eine
funktionierende Demokratie mehr ist als die Teilnahme an Wahlen. Die Bürger
sollten mehr Mitspracherecht bei der Gestaltung öffentlicher Haushalte haben. Bürgerversammlungen
(citizens´ conventions, Monbiot S. 141), zum Beispiel nach dem erfolgreich
erprobten irischen Modell[vi],
könnten auch während der Legislaturperiode zur Meinungsbildung und
Entscheidungsfindung der Regierenden beitragen.
Während im neoliberalen Modell der
Staat geradezu als Gegner des Bürgers dargestellt wird, hebt Monbiot die
schützende Funktion des Staates hervor, die nicht mit staatlicher Bevormundung
gleichzusetzen ist und die er wahrnimmt, indem er die Infrastruktur in Stand
hält, Sozial- und Umweltstandards garantiert und die Armut z.B. durch
Umverteilung bekämpft.
Der Staat – so parteiisch, fehlerhaft und unterdrückerisch
er auch ist – ist das einzige was
zwischen uns und der entfesselten Macht von Geld und Waffen steht. Deswegen
versuchen Konzerne und Billionäre auch ihn seiner Kernfunktionen zu entledigen:
dem Schutz der Menschen und der Natur, der Umverteilung von Wohlstand, dem
Schaffen eines sozialen Netzes und der Bereitstellung kostenloser umfassender
öffentlicher Dienstleistungen. S. 138 [Übersetzung der Rezensentin]
Politische Kompetenzen sollten
nach dem Prinzip, der Subsidiarität verteilt, also möglichst dezentralisiert
werden, so dass Entscheidungen auf einer möglichst niedrigen politischen Ebene
gefällt werden, die dann zur Finanzierung auch angemessen mit steuerlichen
Mitteln ausgestattet werden muss. (Monbiot,
S. 130)
Ein Ausweg aus der Krise
[…] die freiheitliche Demokratie ist in Gefahr, wenn die
Menschen die Zunahme privater Macht hinnehmen bis zu einem Punkt, wo sie stärker
wird als der demokratische Staat selbst’.
Franklin D. Roosevelt,
‚Message to Congress on Curbing Monopolies‘, 1938,
at
presidency.ucsb.edu., zitiert in Monbiot S. 48, [Übersetzung der Rezensentin]
Insgesamt ist Monbiots Vision ein
Steinbruch guter Reformvorschläge auf der Grundlage eines integrativen
Wirtschaftsmodells. Sie gewinnt Überzeugungskraft dadurch, dass sie vom Menschen, seinem Wesen und seinen
Bedürfnisse ausgeht und stimmt optimistisch, da viele der aufgezeigten Projekte
schon an irgendeinem Ort der Welt funktionieren. Ja, man kann politischer
Entmachtung durch bürgerschaftliches Engagement entgegenwirken.
Natürlich kann man einwenden,
dass das vorgestellte Modell gar
nicht so neu ist. Eigentlich wurden ja schon auf der Klimarahmenkonvention von
Rio de Janeiro 1992 von 172 Unterzeichnerländern Leitlinien für eine
nachhaltige Entwicklung vorgegeben. Zu ihrer Umsetzung auf lokaler Ebene wurden
z.B. in Deutschland vielerorts Initiativen für eine Lokale Agenda zur Förderung
von sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit gegründet, die sehr viel gute
Arbeit geleistet haben und teilweise immer noch aktiv sind. Umwelt- und
Naturschutzvereine leisten wertvolle Lobbyarbeit auf allen Ebenen der Politik.
Aber, wie auch der Autor
hervorhebt: das Konzept der Nachhaltigkeit wird zwar in politischen Debatten immer
wieder hochgehalten, ist aber häufig nur Fassade. So wird aus dem Konzept
des sustainable
growth (nachhaltiges Wachstum) schnell einmal sustained growth (stetiges Wachstum) (Monbiot, S. 114).
Deshalb ist eine erneute
Sensibilisierung so wichtig. Der Mensch gewöhnt sich so sehr an gegebene
Verhältnisse und Ordnungssysteme, dass er/sie ihre Schwächen nicht mehr wahrnimmt.
[vii] Dies
ist ein Grund warum das neoliberale Wirtschaftsmodell sich als so hartnäckig
erweist. Ein weiterer ist der zunehmende Einfluss neoliberaler, von
superreichen Sponsoren finanzierter Think Tanks, die das in Friedrich Hayeks
‚Die Verfassung der Freiheit‘ (1960) entworfene Weltbild propagieren, nach
welchem die Freiheit der Reichen den höchsten Wert darstellt auf Kosten von
Demokratie und politischer Freiheit (Monbiot, S. 32-33). Monbiots Darstellung des Siegeszugs des
Neoliberalismus, seine Vereinnahmung der sozialdemokratischen Parteien im
sogenannten ‚Dritten Weg‘, und sein mit der Wirtschaftskrise 2008
offensichtlich werdendes Scheitern leistet eine dringend notwendige Aufklärung.
(S. 33-51).
Vor allem in der amerikanischen
Gesellschaft konnte sich diese Ideologie schon so weit durchsetzen, dass man
das System durchaus als Plutokratie bezeichnen kann, die die demokratischen
Elemente zunehmend verdrängt (Zum politischen System und der
Parteienfinanzierung in den USA, Monbiot S. 133-136). Durch seine Darstellung
der amerikanischen Verhältnisse ist Out
of the Wreckage nicht zuletzt eine überzeugende Warnung vor einer weiteren
Amerikanisierung der westlichen liberalen Demokratien – Rückbau staatlicher
Funktionen und Institutionen und zunehmende Macht der Wirtschafts- und
Bankenlobby – eine Richtung, die ja zum Beispiel auch von manchen politischen
Gruppierungen in Deutschland vertreten wird.
Trotz aller guten Ansätze wird es
sich als unglaublich schwierig erweisen, die Macht der Wirtschafts- und Bankenlobby
einzugrenzen. Oft fehlt aber auch der politische Wille dazu Schlupflöcher zu
beseitigen. Im gerne gelobten Deutschland z.B. vermeiden große Investoren die
Grunderwerbssteuer von 5 %, indem sie sie durch sogenannte Share Deals umgehen
und heizen dadurch die Spekulationsblase weiter an – auch ein Beispiel für das,
was Monbiot ‚daylight robbery‘ nennt.[viii]
Für alle, die für
Veränderung kämpfen wollen, lohnt es sich das Kapitel ‚Making it Happen‘ zur
erfolgreichen Durchführung von Kampagnen zu lesen
[i] (1) C. Daniel Batson, Altruism in Humans. Oxford University Press, 2011
Kristian Ove et al. ‘Models Inconsistent with
Altruism Cannot Explain the Evolution of Human Cooperation’,
(2) Proceedings of the National Academy of
Sciences of the United States 113: 18 (May 2016), at pnas.org
[ii] Eine Darstellung des Sachverhalts findet man zum Beispiel
in ‚Ein Kartell gegen die Steuerzahler‘, 9.8.18,
[iii] Ein beeindruckendes Beispiel sind die Elektrizitätswerke Schönau (EWS), ein
bürgereigenes Energieversorgungsunternehmen.
https://www.ews-schoenau.de/ews/ueber-die-ews/
[iv] Hanno Rauterberg ‚Der letzte Grund. In Wahrheit ist die Wohnkrise eine
Bodenkrise. Nur der Bund kann sie lösen und die Spekulationen beenden.‘ DIE
ZEIT, 11.1.2018
[v] Hanno Rauterberg ‚Der letzte Grund. In Wahrheit ist die Wohnkrise eine
Bodenkrise. Nur der Bund kann sie lösen und die Spekulationen beenden.‘ DIE ZEIT,
11.1.2018. As outlined in the article, the policies of the German cities Ulm
and Tübingen are good examples of how control cam be taken back.
[vi] Die Bürgerversammlungen
in Irland könnten ein Modell für die Bürgerbeteiligung der Zukunft in
Deutschland/Europa sein. Sie sind zusammengesetzt
aus durch Los bestimmten Mitgliedern, die von
Experten umfassend informiert werden. Am Ende des
Meinungsbildungsprozesses geben sie eine
Empfehlung an das nationale Parlament ab ('Zur
Wahl steht: Die Demokratie', Die ZEIT, 19.1.2017)
[vii]
Daniel Pauly, ‚Anecdotes and the Shifting Baseline Syndrome of Fisheries‘,
Trends in Ecology and Evolution 10:10 (October 1995), at sciencedirect.com
[viii] Felix Rohrbeck und Marcus Rohwetter ‚Rettet die Stadt‘, Die ZEIT,
11.1.2018
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