Mittwoch, 15. Mai 2019

Gedicht für März 2019: Ode an die Sonne


winter
Wir stellen uns den wolkendunklen Wochen,
dem eisigen Regen, der Luft so beißend kalt,
von milden Abenden träumend, von Sonnentagen.
Wir schauen hoch und suchen am Himmel die Quelle
umhüllender Wärme. Dein Anblick schon alleine
belebt uns. Doch du erhörst uns nicht. Wir warten …


Frühling
… bis du uns herauslockst wie zarte junge Knospen,
aus Ästen und Zweigen sprießend; wie frisches Gras,
das die Erde durchbricht, sie bedeckt mit zartgrünem Rasen.
wie Blüten, die frühen Boten der Früchte des Sommers.
Zu allem was lebt bist du so gut, und wir
sind glücklich in deiner Wärme und deinem Licht …


Sommer
… bis wir fliehen, nicht wegen Kälte, wegen dir,
du unbarmherziger, blendender Feuerball.
Wir suchen den Schatten unserer Häuser hoffend,
dass sie vor deiner sengenden Hitze schützen.
Allgegenwärtig ist sie, das Atmen wird schwer.
Wenn du untergehst, glüht der Asphalt lange fort,
ein Vermächtnis deiner Strahlung, verhindert die Kühlung,
die wir lange ersehnt. Du bist morgens schon da,
wenn wir aufstehn, du hüllst uns gleich ein in glühende Luft.
Wo sind die Wolken? Geh weg! Warum starrst du so böse?
Du hast den Regen verschluckt, die Quelle des Wachstums
von Korn und Früchten, die Ernte dezimiert,
das Gras verdorrt. Schon verfärben sich die Blätter,
und sammeln sich am Boden. Alles verwelkt
unter deinem gleißenden Blick. Hast du kein Mitleid?
Vergeblich flehen wir bis …


Herbst
… dich regenschwere Wolken überdecken.
Wir atmen wieder, aber nur halb gefüllt
sind die Vorratsspeicher mit des Sommers Gaben.
Im Stich gelassen hast du uns nun zweimal.
Im Winter litten wir am trüben Wetter,
an Dunkelheit und Kälte, kaum zu ertragen.
Doch diesmal sind wir schlauer, du wirst schon sehen.
Wir fliegen bald zu sonnigeren Ufern.

Gudrun Rogge-Wiest, August 2019

Wie wär´s mit etwas mehr Gelassenheit gegenüber der Sonne, so wie im folgenden Zitat:

“Ich muss der Sonne nicht hinterher rennen, ich warte bis sie vorbeikommt.”
Gerhard Gundermann, Interview in Neues Deutschland 2.96

Das vorausgehende lange und die folgenden zwei kurzen Gedichte wurden durch die Hitzerekorde im noch jungen 21. Jahrhundert und insbesondere durch die letztjährige Trockenperiode inspiriert.

Nicht die gleißende, grelle Sonne,
sondern der sanfte, warme Regen,
ist der wahre Bote des Frühlings.

April/August 2019, GRW


Traut nicht den blauen, warmen Tagen,
die Sonne hat ein kaltes Herz.
Verdorrt der Halm, der Frucht getragen,
Was bleibt sind Trauer, Furcht und Schmerz.

April 2019, GRW



Mein eigenes Leiden an der Hitze hat mich auch dazu angeregt mich nach Seelenverwandten in der Literatur umzuschauen. Das folgende Zitat stammt aus Mick Herrons Spionagethriller Real Tigers (2016), Chapter 7, p. 122, der im zeitgenössischen London während einer Hitzewelle spielt.

Normalerweise fuhr Freifrau Ingrid mit der U-Bahn zur Arbeit, aber sie benutzte ihren Dienstwagen für alle anderen Fahrten. Er trug sie nun durch Straßen, die in der Hitze dahinwelkten. Als die Wetterkapriolen begannen, wurde die Hauptstadt bunt, wie in Farbe getaucht, aber als die heißen Tage zur Wochen andauernden Bruthitze wurden, verschwand die Leuchtkraft wie bei einem in die Jahre gekommenen Anstrich. Die Vegetation starb ab, die Parks waren braun und leblos. Die Leute hasteten jetzt von Schatten zu Schatten mit dem resignierten Gesichtsausdruck von Traumatisierten und begrüßten Gerüchte über baldigen Regen wie die Nachricht von einem Lotteriegewinn. [ Übersetzung GRW]


Zum Vergleich stelle ich etwas Sonnenlyrik ein, die in einer Zeit geschrieben wurde, in der man noch nichts vom Klimawandel im heutigen Sinn wusste. In diesem Zitat aus Oliver Twist von Charles Dickens ist die Sonne ein allgemeines Gut und hat eine belebende Wirkung.

Die Sonne – die helle Sonne, die nicht nur das Licht wiederbringt, sondern neues Leben, neue Hoffnung und Kraft für die Menschen – brach über der menschenvollen Stadt in klarer und strahlender Herrlichkeit hervor. Die Strahlen, die sie aussandte, waren alle gleich, egal ob sie durch ein kostbar buntes Glas oder durch ein mit Papier repariertes Fenster, durch die Kuppel einer Kathedrale oder durch einen bröckelnden Mauerspalt fielen.
Charles Dickens, Oliver Twist, 1837-1839, Übersetzung GRW

Die Sonne unterscheidet nicht zwischen reich und arm. Ihre Strahlen erreichen und erfreuen jeden.


1 Kommentar:

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