Der
Mönch am Meer, Caspar
David Friedrich (1808-1810)
Öl
auf Leinwand, 110x171,5
cm, Alte Nationalgalerie Berlin
Quelle: Google Art Project, de.wikipedia.org/wiki/Der_Mönch_am_Meer
Eingehüllt in graue Wolken
von Heinrich Heine (1797-1856)
Eingehüllt
in graue Wolken,Schlafen jetzt die großen Götter,
Und ich höre, wie sie schnarchen,
Und wir haben wildes Wetter.
Wildes Wetter!
Sturmeswüten
Will das arme Schiff zerschellen -
Ach, wer zügelt diese Winde
Und die herrenlosen Wellen!
Will das arme Schiff zerschellen -
Ach, wer zügelt diese Winde
Und die herrenlosen Wellen!
Kanns nicht
hindern, daß es stürmet,
Daß da dröhnen Mast und Bretter,
Und ich hüll mich in den Mantel,
Um zu schlafen wie die Götter.
Daß da dröhnen Mast und Bretter,
Und ich hüll mich in den Mantel,
Um zu schlafen wie die Götter.
Aus Nachgelesene Gedichte (1812-27)
In der griechischen Mythologie leben, lieben und streiten
sich die Götter wie die Menschen, und was sie tun oder unterlassen hat eine
Wirkung in der Welt. In Heines Gedicht schlafen sie, und ein heftiger Sturm
kommt auf. Nur die Götter könnten ihn besänftigen, den Winden und Wellen
befehlen, aber sie nehmen nicht wahr was passiert. Auch der Sprecher hüllt sich
am Ende in seinen Mantel ein und legt sich schlafen. Er tut es also den Göttern
gleich.
In der zweiten Strophe macht die Steigerung von 'Wildes
Wetter' zu 'Sturmeswüten', gefolgt von der Wehklage 'Ach!' und dem Ruf nach
Führung 'wer zügelt diese Winde [...]', die Dramatik des Geschehens spürbar. Das
Verhalten des Sprechers, dass er sich trotzdem hinlegt, verweist jedoch auf
seine innere Distanz. Mit diesem Schlussbild vor Augen erhalten die Verse 'Ach,
wer zügelt diese Winde/Und die herrenlosen Wellen!' nachträglich einen ironischen
Unterton. Der Sprecher ist sich bewusst, dass keine wunderbare Rettung erfolgen
wird.
Heines Interesse am Zeitgeschehen legt eine allegorische
Deutung des Geschehens nahe.[1]
Nach dem Wiener Kongress 1815 begann eine Phase der Restauration auf dem europäischen
Kontinent, in der die absolute Monarchie wieder hergestellt werden sollte. Dazu
wurden Reformen rückgängig gemacht und Freiheitsbestrebungen mit Hilfe der
Polizei und durch Zensur unterdrückt.[2]
Die Götter in Heines Gedicht entsprechen den Fürsten und Königen des 19.
Jahrhunderts, das Schiff dem Staat und der Gesellschaft der damaligen Zeit. Der
Sturm ist eine Metapher für die herbeigesehnte Revolution des Volks, die zu
einem freiheitlich-demokratischen Verfassungsstaat führen sollte.
Das Verhältnis von Fürsten, Gesellschaftsordnung und
revoltierendem Volk der allegorischen Deutung unterscheidet sich jedoch von dem
zwischen den Göttern, dem Schiff und dem Sturm, welches der offensichtliche
Gegenstand des Erzählens, seine initiale Bedeutung, ist. Während die
Macht der Götter unangreifbar ist, steht die Macht der Fürsten auf dem Spiel,
und sie können es sich eigentlich nicht leisten zu schlafen, das heißt, die
Unzufriedenheit zu ignorieren und die Liberalisierung auf unbestimmte Zeit zu
verschieben. Dieser Unterschied zwischen initialer und allegorischer Ebene ist
ein Ironiesignal, das Kritik impliziert.
Anders als die Fürsten hat der Sprecher keinen Einfluss
auf den Gang der Geschichte ('kanns nicht hindern, daß es stürmet', 3.
Strophe), die Revolution wird so oder so ihren Lauf nehmen. Wenn er sich in
seinen Mantel einhüllt und sich hinlegt, ist das eine Geste, die ihm der
gesellschaftlichen Hierarchie nach eigentlich nicht zusteht. Er nimmt trotz
seiner Machtlosigkeit die Rolle der Götter ein. Auch wenn er dem Sturm
weiterhin ausgesetzt ist und verletzlich bleibt, hat der Sprecher als einfacher
Mensch hier mehr Freiheit als der Fürst, was wiederum eine ironische Diskrepanz
ist. Sie weist einerseits auf das Ausgeliefertsein des einzelnen Bürgers hin,
andererseits auf die Möglichkeit durch gelassenes Abwarten wenigstens innere
Freiheit zu leben.
Es bietet sich an, den Sprecher als Persona des Dichters
Heine zu interpretieren, der Gesellschaft und Politik im damaligen Deutschland beobachtete
und kommentierte. Auch wenn sich das Gedicht nicht explizit auf die
zeitgenössischen Verhältnisse bezieht, verbirgt der initiale Text nur auf den
ersten Blick die für Zeitgenossen leicht erschließbare allegorische Deutung und
damit die Ironie und die indirekte Kritik am politischen System. Sowohl die
Darstellungsweise der Allegorie als auch das Stilmittel der Ironie können damit
als Schutzmantel des Autors betrachtet werden, in den er sein Gedicht und sich
selbst einhüllt. Beide sind Verteidigungsstrategien gegen den Zugriff der
Zensurbehörden. [3]
Während das Gedicht in verhüllter Form, also nur
indirekt, Kritik zum Ausdruck bringt, verbarg Heine in vielen seiner Schriften
seine Haltung nicht. Sein Schreiben richtete sich gegen den autoritären
Regierungsstil der Fürsten des Deutschen Bundes, die nach dem Hambacher Fest
1832 die staatlichen Repressionen noch verschärften. Er sprach sich für einen
liberal-demokratischen Verfassungsstaat aus, nahm aber eine kritische Distanz
zu den radikalen Republikanern wie Ludwig Börne ein.[4] Ausschreitungen
gegen Juden, die Zensur und das Erstarken anti-liberaler christlicher Kräfte in
Deutschland veranlassten Heine 1831 nach Frankreich auszuwandern, wo er bis zu
seinem Tod lebte.[5]
Was Revolution für die Aufständischen bedeuten kann,
erfuhr Heine, der in der Zeit des Bürgerkönigtums in Frankreich nach der
Julirevolution von 1830 nach Deutschland berichtete, als Demonstrationen gegen
die Julimonarchie in der Folge der Cholera-Epidemie von 1832 von
Regierungstruppen brutal niedergeschlagen wurden.[6]
Einerseits war er als wohlhabender Exilant, der in den
Salons des gehobenen Bürgertums verkehrte, in einen schützenden Mantel
eingehüllt, andererseits setzte er sich mit seinen kritischen Schriften
scharfen Gegenangriffen christlich-konservativer Autoren aus. Unter anderem
unternahm er es, den Franzosen Deutschland zu erklären und den Deutschen
Frankreich, welches als Vorbild für freiheitliche Gesinnung galt, aber gerade
deswegen im Deutschland der damaligen Zeit als Feindbild herhalten musste, so
dass Hass auf die Franzosen weit verbreitet war.
Verletzlich war Heine auch aufgrund seiner Herkunft. Als
Jude war er in Deutschland sowohl Diskriminierungen als auch antisemitischen
Beleidigungen ausgesetzt. Sowohl als Jugendlicher in Düsseldorf 1819 als auch
als Erwachsener in Hamburg 1830 erlebte er antijüdische Ausschreitungen.[7]
Letztere waren mit ein Grund für sein selbstgewähltes Exil. Trotz seines
politischen Engagements betrachtete sich Heine als unabhängigen Künstler, der sich
nicht in den Dienst einer bestimmten Sache stellte.[8]
Neben dem Bezug auf die politische Situation seiner Zeit
lässt sich Heines Gedicht allgemein als Kritik an Regierungen verstehen, die
sich notwendigen, dringenden Reformen verweigern. Mit der Zeit führt die
Blockade zu einem Reformstau von immer höherer Dringlichkeit, wodurch
gesellschaftliche Spannungen verschärft werden und Protestbewegungen entstehen.
Das jüngste Beispiel sind die Proteste gegen die Polizeigewalt gegen
Afroamerikaner und gegen systemische Diskriminierung und Rassismus in den USA.
Weltweit hat die Untätigkeit der Regierungen in Bezug auf
den voranschreitenden Klimawandel gerade bei der jungen Generation Proteste
ausgelöst, die im Verlauf des Jahres 2019 an Stärke zugenommen haben. Jedoch
gab es bis Anfang 2020 international noch kaum verbindliche Zusagen, wie die
zur Einschränkung der Klimaerwärmung dringend notwendigen Maßnahmen umgesetzt
werden sollen. Es ist zu befürchten, dass die Corona-Pandemie die Bekämpfung
des Klimawandels weiter stark verzögert. In Bezug auf den Klimawandel schlafen
die Regierungschefs weltweit und auch viele Bürger wollen damit nicht belästigt
werden. Ein böses Erwachen für alle steht bevor.
[1] Ich verwende im Folgenden Maureen Quilligans
Terminologie zur Analyse von allegorischen Texten. Sie unterscheidet zwischen
dem sogenannten Initialtext mit seiner initialen Bedeutung und der
allegorischen Deutung des Texts. Die initiale Bedeutung ist das, was der Text
dem ersten Anschein nach sagt, die allegorische das, was er zusätzlich noch und
eigentlich meint. Quilligan, Maureen The Language of Allegory: Defining the
Genre, Ithaca, NY [u.a.]: Cornell Univ. Pr., 1979 erklärt in Gerhard Kurz, Metapher,
Allegorie, Symbol, Göttingen:
Vandenhoeck, 6. Auflage, 1982/2009, 44.
[2] Rolf Hosfeld, Heinrich
Heine. Die Erfindung des europäischen Intellektuellen, München: Siedler
Verlag, 2014, 53.
[3] Ein Beispiel für den Gebrauch von Ironie in einer
Situation extremer politischer Unterdrückung sind auch die Werke Dmitrij
Schostakowitschs. In seiner fiktionalen Biographie des Komponisten schreibt
Julian Barnes zur Funktion von Ironie:
‘All his life he
had relied on irony. He imagined that the trait had been born in the usual
place. In the gap between how we imagine, or suppose, or hope life will turn
out, and the way it actually does. So irony becomes a defence of the self and
the soul, it lets you breathe on a day-to-day basis.’ The Noise of Time, Chapter 3.
[4] Rolf Hosfeld, Heinrich Heine, 278
[5] Hosfeld, 224-6.
[6] Hosfeld, 272.
[7] Hosfeld, 48 und 224
[8] Hosfeld, 253.
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