Die
Autorin ist sächsische Staatsministerin für Gleichstellung und
Integration.
In
einer Rede im Oktober 2016 forderte sie erstmals die Aufarbeitung der
Nachwendezeit.
In ihrer Streitschrift
„Integriert doch erstmal uns!“ präsentiert Petra Köpping
eine Erklärung dafür, dass Ost- und Westdeutschland auch nach 30
Jahren noch nicht zusammengewachsen sind, dass sich nach der
anfänglichen Begeisterung für die Wiedervereinigung ein Graben
aufgetan hat, der mit Beginn der Pegidademonstrationen und dem
Erstarken der AfD in den neuen Bundesländern eher noch weiter und
tiefer wurde. Dazu blickt sie zurück auf die Zeit nach dem Mauerfall
1989 und auf den Prozess des Anschlusses der neuen Bundesländer an
die Bundesrepublik, insbesondere das Wirken der Treuhandanstalt.
Bedauerlicherweise
könnte der Titel des Buchs viele Leser, insbesondere in
Westdeutschland, unnötig abschrecken, da er ins rechtspopulistische
Lager mit seiner Fremdenfeindlichkeit verweist. Diese Auslegung
erweist sich aber als falsche Fährte, denn der Titel zitiert
lediglich Gesprächspartner der Autorin, und beim Lesen wird
schnell deutlich, dass es ihr fern liegt Migranten und Ostdeutsche
gegeneinander auszuspielen. Das eigentliche Ziel ihrer Streitschrift
ist es das gegenseitige Verständnis von Ost- und Westdeutschen zu
verbessern durch eine wissenschaftliche Aufarbeitung der
Nachwendezeit, die sie nachdrücklich fordert.
Streitschrift ist das
Buch insofern als die Autorin sich engagiert für die Anerkennung der
Lebensleistung der Generation von Ostdeutschen einsetzt, deren Leben
in der Nachwendezeit zerstört worden ist. Sie fordert das öffentliche Eingeständnis, dass es die Priorität der
CDU-Regierung unter Helmut Kohl nach 1990 war, dass Westdeutschland
keine Nachteile von der Wiedervereinigung haben sollte und für die
Folgen dieser Politik. Man wollte unbedingt verhindern, dass eine
Konkurrenz zu den Westfirmen entstand, hielt aber nicht nur
ausländische Investoren fern, sondern auch Ostdeutsche, die sich um
die Weiterführung ihrer Betriebe bemühten. Schließlich gab es
keine Kontrollinstanz für die Treuhand und ihre Transaktionen, so
dass die Zukunft der aufgekauften Betriebe ganz in den Händen der
westlichen Käufer lag. Dabei hebt Köpping hervor, dass es positive
Entwicklungen und Erfolgsgeschichten gab, leider aber auch zu viele
Fälle, in denen überlebensfähige Betriebe stillgelegt wurden und
viele Menschen ihre Arbeit und ihre Zukunftsperspektive verloren.
Während der Strukturwandel in den Bergbauregionen des Westens durch
viele Maßnahmen aufgefangen wurde, wurden die neuen Bundesländer
weitgehend den Kräften des Marktes überlassen, was zu ihrer
weitgehenden Deindustrialisierung führte.
Der von Köpping
präsentierte Überblick über die Aspekte, die aufgearbeitet und
geklärt werden müssten, ist bewegend,
weil er die Menschen und
ihre Schicksale in den
Mittelpunkt stellt. Indem
sie
ihre Ausführungen durch Daten, Statistiken und Erfahrungsberichte
belegt, gewinnen sie eine große Überzeugungskraft. Jeder,
der die Zeit nach 1990 erlebt hat, hat ein paar besonders dramatische
Geschehnisse in Erinnerung, wie z.B. die Übernahme des Kalibergwerks
in Bischofferode 1993. Die
besondere Leistung des Buchs
liegt jedoch in einer Rekonstruktion des Gesamtzusammenhangs,
die auch für nicht-akademische Leser verständlich ist, wobei die
Autorin stets darum bemüht ist die Perspektiven der verschiedenen
Akteure und ihre Motivation aufzuzeigen. Obwohl genug Grund dazu
besteht, geht es ihr nicht darum anzuklagen sondern vorbehaltlos
aufzuklären, und dadurch dem Gefühl der Entwertung, das viele
Menschen in Ostdeutschland erfuhren und auch heute noch empfinden,
entgegenzuwirken. Dabei fürchtet sie, dass es Rivalitäten um die
Deutungshoheit über die Nachwendegeschichte geben wird.
Erst 2020 könnten
sie [die Aktenbestände der Treuhand] ganz geöffnet werden, und ob
das ohne Auslassungen oder Schwärzungen geschieht, ist mehr als
fraglich. Natürlich müssen berechtigte Schutzinteressen gewahrt
bleiben. Aber wir als Gesellschaft haben hier ein besonderes Recht
auf eine umfassende Auswertung. Ich fordere daher eine vollständige
Sicherung und wissenschaftliche Aufarbeitung der Treuhandakten.
Ergebnisoffen und fair.
(Köpping,
S. 155)
Überzeugend legt
Köpping dar, dass die Anerkennung der Lebensleistung der Generation
Aufbau Ost durch die Aufarbeitung der Nachwendezeit ein Gebot der
Fairness ist und darüber hinaus auch im Interesse aller Deutschen
liegt. Um die Erfahrungen nach 1990 zu sammeln und festzuhalten ruft
sie auch die Menschen in Ostdeutschland auf selbst aktiv zu werden
und lokal und regional Geschichtswerkstätten zu gründen.
Das Buch ist eine wichtige Lektüre für alle Deutschen und insbesondere für die Westdeutschen.
Petra Köpping:
Integriert doch erstmal uns! Eine
Streitschrift für den Osten, Ch.Links Verlag, 2018
Zum Vergleich: Rezension im Deutschlandfunk unter www.deutschlandfunkkultur.de/petra-koepping-integriert-doch-erstmal-uns-narben-auf-der.1270.de.html?dram:article_id=429285
Zum Vergleich: Rezension im Deutschlandfunk unter www.deutschlandfunkkultur.de/petra-koepping-integriert-doch-erstmal-uns-narben-auf-der.1270.de.html?dram:article_id=429285