Wenn kurz vor dem Ende von High Noon die vier
Gangster großspurig durch die Straßen von Hadleyville ziehen, hat man als
Zuschauer sechzig dramatische Minuten durchlebt, in denen der Marshal der
kleinen Stadt sich vergeblich bemühte, Unterstützung im Kampf gegen sie zu
finden. Obwohl der Western älter als 60 Jahre ist – er kam 1952 in die Kinos –
ist er gerade heute hoch aktuell, denn er stellt die entscheidende Frage
danach, wer in der Gesellschaft das Risiko auf sich nimmt, das Gesetz,
beziehungsweise den Rechtsstaat, im Fall eines Angriffs auf ihn, zu
verteidigen. Seine Antwort ist das verstörende Psychogramm einer Stadt, in der
nicht viele Bürger bereit sind, oder sich in der Lage sehen, dies zu tun. Die
meisten haben wohl seine Vorzüge aus dem Blick verloren oder scheinen sich der
Konsequenzen ihrer Gleichgültigkeit nicht bewusst zu sein.
Hadleyville gehört zum New-Mexico-Territorium im späten
19. Jahrhundert. Frank Miller, der wegen Mordes zum Tode verurteilt wurde, wird
frühzeitig aus einem Gefängnis in den Nordstaaten entlassen und soll um 12 Uhr
mittags mit dem Zug in der Stadt ankommen. Aufgrund dieser Nachricht steckt
sich Will Kane, der am früheren Vormittag vom Amt des Marshals der Stadt
zurückgetreten war, seinen Marshalstern wieder an, um eine Mannschaft
zusammenzustellen, die die Stadt vor Miller schützen soll.
Während die Zeiger der Uhr sich stetig und erbarmungslos
von zehn vor elf auf zwölf Uhr und die erwartete gewalttätige Konfrontation
zubewegen, folgt die Kamera Kane beinahe in Echtzeit durch die Stadt. Dabei
stellt sie dem Betrachter Vertreter unterschiedlicher gesellschaftlicher
Gruppen vor und gibt einen Einblick in ihre Persönlichkeiten und Interessen. Am
Ende von Kanes einsamer Suche steht die schockierende Erkenntnis, dass es ihm
nicht gelungen ist, Männer für die Verteidigung der Stadt zu gewinnen. Manche
haben einfach Angst um ihr Leben. Gleichzeitig scheint Miller durch die bloße
Anwesenheit seiner Komplizen an Beliebtheit zu gewinnen, obwohl diese eindeutig
Schurken sind. Der Barkeeper im Saloon und seine Kunden bekennen sich schon zu ihm,
bevor er auch nur angekommen ist.
Er malt sich voller Schadenfreude Kanes Tod aus und seine Kunden lachen dem
Marshal ins Gesicht und freuen sich auf Millers Ankunft.
Der Richter, der Miller verurteilte, und der wie Kane das
Gesetz repräsentiert, verlässt die Stadt. Er nimmt nicht nur die Gesetzbücher
und die Waage, das Symbol der Gerechtigkeit mit, sondern auch die amerikanische
Flagge. Während er seine Sachen packt, vergleicht er die bevorstehende
Situation mit der Rückkehr eines Tyrannen nach Athen um 500 vor Christus.
Obwohl ihn die Griechen verbannt hatten, weil er ihnen das Leben zur Hölle
gemacht hatte, gewähren sie ihm bei seiner Rückkehr mit einer Armee Einlass in
die Stadt und sehen zu, wie er Mitglieder der rechtmäßigen Regierung hinrichten
lässt.
Die Analogie legt die Interpretation der Handlung von High Noon als Allegorie für die
Bedrohung einer demokratischen Gesellschaftsordnung durch eine populistische Führerpersönlichkeit nahe, die nicht
zuletzt dadurch erfolgt, dass die Menschen nicht willens oder in der Lage sind,
seine Machtergreifung zu verhindern.
In der Kirche setzen sich einige Bürger leidenschaftlich
für Widerstand gegen Miller ein. Sie argumentieren, dass die Stadt seit Müllers
Verhaftung ein sicherer Ort für Frauen und Kinder war. Das Gesetz,
repräsentiert durch Marshal Will Kane, habe sie geschützt. Die Befürworter
werden jedoch von denjenigen überstimmt, die Einwände erheben oder sich sogar
ausdrücklich gegen Kanes Vorhaben aussprechen. Ihr Wortführer ist ein
Geschäftsmann, der behauptet, dass mögliche Investoren aus dem Norden das
Interesse an der Stadt verlieren könnten, wenn sich die Nachricht von einer
Schießerei, wie sie bei Millers Ankunft stattfinden würde, sollte man sich
gegen ihn wehren, verbreitet. Seiner Auffassung nach würde sich das Problem von
allein lösen, wenn Kane die Stadt verließe, da Miller sich nur an dem Marshal
rächen wolle.
Nach der Diskussion in der Kirche bleibt der Eindruck,
dass es tatsächlich im Interesse einiger Bürger ist, wenn der Marshal aufgibt,
so wie der das Gesetz repräsentierende Richter vor ihm. Es scheint, dass sie im
Hintergrund die Fäden in der Hand halten und schon eifrig den Weg für eine neue
Zeit freimachen in der Erwartung, dass sie davon profitieren werden, wenn Miller die Stadt ein wenig aufmischt. Sie
glauben nicht nur, dass er sie unbehelligt lassen wird, wenn sie ihm
nicht in die Quere kommen, sondern dass auch sie das Gesetz ungestraft brechen werden
können.
Mangels Unterstützung wird Kane nun allein den Kampf
gegen Miller und seine Bande auf sich nehmen, wobei zwei Beweggründe ineinander
spielen, seine eigene Verteidigung und die der Rechtsordnung in der Stadt. An letztere
hält er sich sorgfältig, denn er verhaftet die Komplizen Millers, die die
Rechtstreue des Marshals ausnutzen, nicht vorsorglich, obwohl ihm dies zu einem
leichten Sieg hätte verhelfen können. Dass er sich nach der Schießerei weder
als Held feiern lässt noch einen Anspruch auf eine Führungsposition in der
Stadt erhebt, bestätigt, dass er nicht für autoritäre Herrschaft steht. Miller
dagegen kehrt zurück, um Rache an denjenigen zu nehmen, die ihn gesetzmäßig
verhafteten und verurteilten und um sein altes Territorium wieder zu erobern.
Regisseur Fred Zinnemann weist in seiner Autobiographie
selbst auf die symbolische Bedeutung der Stadt und ihrer Bewohner hin und
erklärt die Rolle Kanes: [1]
Es war die
Geschichte eines Mannes, der eine Gewissensentscheidung treffen musste. Seine
Stadt – Symbol einer apathisch gewordenen demokratischen Gesellschaft – und
ihre Lebensweise werden mit einer schrecklichen Bedrohung konfrontiert. Da er
entschlossen ist Widerstand zu leisten und unter großem Druck steht, sucht er
überall in der Stadt Unterstützung, findet aber niemanden, der ihm hilft. Die
Türen und Fenster der Stadt verschließen sich vor ihm. Jeder hat irgendeinen
Grund sich nicht einzumischen. Schließlich muss er sich dem gewählten Schicksal
ganz allein stellen. […] Dies ist eine Geschichte, wie sie noch immer passiert,
überall, jeden Tag.
Zinnemann, Fred (1992), An Autobiography,
London: Bloomsbury, 97; [meine Übersetzung]
Unabhängig davon wie man seine Rolle beurteilt, ist es
interessant sich zu überlegen, wie sich die Stadt verändern würde, wenn
Kane die vier Outlaws nicht tötete. Das Verhalten der vier auf ihrem Gang durch
die Stadt auf der Suche nach Kane gibt einen lebendigen Vorgeschmack. Sie
verhalten sich, als ob das Recht schon ausgehebelt sei und üben das Recht des
Stärkeren aus, indem sie Eigentum willkürlich zerstören.
Studien zu populistischen Bewegungen und persönlicher
Herrschaft können das Bild vervollständigen. Hannah Arendt führt am Beispiel der
Weimarer Republik in Deutschland aus, wie es dazu kommen kann, dass die
Demokratie sich selbst abschafft, indem sich die Bürger der Unterhöhlung demokratischer
Institutionen und der Einschränkung oder gar Abschaffung von Menschen- und Bürgerrechten
nicht entgegenstellen oder ihr sogar zustimmen. [2]
Zum Ausbau und der Erhaltung von Macht werden Feindbilder
aufgebaut, bestimmte Bevölkerungsgruppen werden ausgegrenzt. Eine Spaltung der
Gesellschaft in die Anhänger, das Volk, und die Anderen, die zu potentiellen
Verrätern erklärt werden, ist die Folge. Hannah Arendt erklärt wie es dazu
kommen kann, dass gerade die besten Freunde zu Denunzianten werden (696-7). Die
Bürger lassen damit Entwicklungen zu, die letztlich gegen ihre eigenen
Interessen gehen und zu einem System der Unterdrückung und der Willkür führen. Letztere
ist ein tragendes Element autoritärer Regime, da dadurch die Menschen in einem
dauerhaften Zustand der Unsicherheit und gegenseitigen Misstrauens gehalten
werden, was das System stabilisiert.
Indem High Noon die Gefahren des Politikverdrusses
und der Desillusionierung gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat in Szene
setzt, sendet der Film ein Warnsignal an die Bürger der liberalen Demokratien
weltweit.
Übrigens geht Kane am Ende nur deshalb als Sieger aus der
abschließenden Konfrontation mit den Schurken hervor, weil seine Frau gleichberechtigt
am Kampf teilnimmt. (2014;2016;2020)
[1] Der Kontext der 1950er Jahre hat zu verschiedenen
allegorischen Interpretationen angeregt, zum Beispiel dass Kane für die
Supermacht USA stehe, die den Kommunismus bekämpft oder der Film Kritik am
Vorgehen des Komitees für unamerikanische Umtriebe während der McCarthy-Ära übe
(Phillip Drummond (1997) Zwölf Uhr Mittags. Mythos und Geschichte eines
Filmklassikers. Europa Verlag Hamburg/Wien, 99-100 und 110-112.
[2] Hannah Arendt (1951) Elemente und
Ursprünge totaler Herrschaft, 13. Auflage 2009, p. 659
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen